Aktuell werden uns die Physio-Patienten immer via Arzt überwiesen. Der Patient hat ein gesundheitliches Problem und geht zum Arzt. Dieser entscheidet nach erfolgter Untersuchung, ob eine physiotherapeutische Behandlung angezeigt ist oder nicht und stellt je nachdem eine «Verordnung zur Physiotherapie» aus.
Es stellt sich nun die Frage, ob es gesundheitlicher Probleme gibt, bei welchen es sinnvoll wäre, direkt zum Physiotherapeuten zu gehen, ohne den «Umweg» über den Arzt zu machen. Dazu gibt es einiges an Datenmaterial. Einige Länder kennen diesen «Direktzugang» zur Physiotherapie bereits und es gibt verschiedene Studien zu dem Thema.
2019 hat eine Forschergruppe aus Schweden sich diesbezüglich mit der «Volkskrankheit» Arthrose auseinandergesetzt 1). Bereits heute nimmt diese Diagnose einen Spitzenplatz bzgl. Häufigkeit ein und dies dürfte sich in den kommenden zehn Jahren noch weiter verschärfen. Was wäre also, wenn künftig der Physiotherapeut anstelle des Arztes die Untersuchung machen und die Behandlungsstrategie festlegen würde? Dieser Frage ging die Schwedische Studie nach und ordnete 69 Patienten je zur Hälfte nach dem Zufallsprinzip entweder einem Arzt oder einem Physiotherapeuten zu.
Eine Nachkontrolle ein Jahr später zeigte, dass beide Interventionskanäle zu einer signifikanten Verbesserung des gesundheitlichen Zustandes führten und keine unerwünschten Nebenwirkungen aufgetreten waren. Dies lässt den Schluss zu, dass beide Leistungserbringer in der Primärversorgung klinisch gleichermassen für die Erstversorgung geeignet sind.
Dieses Jahr nun analysierte die gleiche Forschergruppe die Kosten der Behandlungsprozesse nach einem standardisierten Kosten-Wirkungs-Verfahren 2). Die Analyse führte zu dem Ergebnis, dass die Behandlungskosten bei der Erstbehandlung durch den Physiotherapeuten statistisch signifikant tiefer sind. Dieser Effekt ist auf eine tiefere Anzahl Arztkonsultationen, weniger Röntgenaufnahmen und Weiterverweisungen an Orthopäden zurückzuführen.
Selbstverständlich kann und soll der Physiotherapeut den Arzt nicht ersetzen. Es gibt aber eine Anzahl Diagnosen im muskuloskelettalen Bereich, wo ein Direktzugang zur Physiotherapie sinnvoll wäre (so beispielsweise auch bei unspezifischen Rückenschmerzen – siehe unseren Blog dazu). Das entlastet einerseits die Hausärzte und führt auch zu einer Senkung der Gesundheitskosten, sind doch die Physiotherapeuten mit einem Ansatz von CHF 100 pro Stunde die mit Abstand günstigsten Leistungserbringer im Gesundheitswesen.
1) Ho C-M, Thorstensson CA, Nordeman L., Physiotherapist as primary assessor for patients with suspected knee osteoarthritis in primary care – a randomised controlled pragmatic study. BMC Musculoskelet Disord. 2019; 20(1): 329
2) Ho-Hendriksson C-M, Svensson M, Thorstensson CA, Nordeman L., Physiotherapist or physician as primary assessor for patients with suspected knee osteoarthritis in primary care – a cost-effectiveness analysis of a pragmatic trial. BMC Musculoskelet Disord. 2022; 23: 260
Grafik: Direktzugang vs Traditionelles Versorgungsmodell; n= Anzahl Patienten