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Die TORTOUR ist der grösste mehrtägige Nonstop-Ultracycling-Event der Welt. Das Rennen mit Start und Ziel im Sihlcity fordert Radsportlern und ihren Crews alles ab: In nur zwei Tagen ist eine 1000 Kilometer lange Nonstop-Rennstrecke über mehrere Alpenpässe mit über 13’000 Höhenmetern rund um die Schweiz zu meistern – Tag und Nacht wird gefahren, solo oder im Team.

Noah Beissler und Coni Angst von der Aktiv Physio waren als Betreuerinnen des «Team Bugi» mit dabei. Daniel Bugmann und seine 19-jährige Tochter Sabrina gingen als mixed Team ins Rennen. Sabrina Bugmann hat den nachfolgenden Blogbeitrag für uns verfasst.

Endlich «finished business»
Nachdem wir vorletztes Jahr die Tortour aufgeben mussten (siehe Blogbeitrag von 2019) und sie letztes Jahr wegen eines tragischen Unfalls abgebrochen wurde, mussten wir unseren gemeinsamen Traum und unser ganz grosses Ziel noch einmal um ein Jahr verschieben.

Die Erfahrungen aus meinen Wettkämpfen in den letzten Jahren haben mich gelehrt, dass ich mich in der Woche vorher meist nicht wohl fühle. Da das Training reduziert werden muss und die Erholung im Vordergrund steht, fühle ich mich faul. Dass man dann noch etwas mehr essen sollte als üblich, um die Energiespeicher zu füllen, macht die ganze Sache nicht unbedingt besser. Kleinste Anzeichen von Schmerzen oder Unwohlsein spüre ich sofort, weil ich Zeit habe, auf meinen Körper zu hören und weil ich möchte, dass am Tag X mein Körper und mein Kopf im Einklang sind. Davon liess ich mich aber nicht beeindrucken und konzentrierte mich auf die Vorbereitung von Material, Nahrung und Kleidung. Anders als bei bisherigen Wettkämpfen war ich dieses Jahr nicht nervös. Es gab keinen Grund dazu, denn ich war noch nie zuvor so fit und motiviert.

Nach etwa zwei Stunden Schlaf klingelte am vergangenen Freitagmorgen um halb zwei mein Wecker. Eine Tasse Kaffee später machten wir uns auf den Weg nach Zürich. An den Start im Sihlcity gingen wir nur mit einem Ziel: Gesund und glücklich in etwas weniger als 48 Stunden wieder hier anzukommen. Und dann ging es los. Mitten in der Nacht fuhr ich mit dem Zeitfahrvelo im Windschatten meines Vaters dem Zürichsee entlang. Da ich die zweite Etappe allein absolvieren musste, endete die Etappe für meinen Vater in Niederurnen. Für mich ging es weiter über den Kerenzerberg nach Chur. Bereits vor Chur wurde ich einmal überholt, womit wir auf dem fünften Platz von fünf Teams lagen. Ich hatte keine Ambitionen mit meiner Konkurrentin mitzuhalten; es lagen ja noch knapp 900 Kilometer und 12’000 Höhenmeter vor uns und ich hatte mir fest vorgenommen, am Anfang ein lockeres Tempo zu fahren. Die nächste Etappe führte von Chur nach Disentis – Zeit etwas auszuruhen, bevor es dann für mich über den Lukmanier ins Tessin ging. Für meinen Vater folgte anshliessend die Königsetappe, welche von Pollegio nach Airolo und anschliessend über den Gotthardpass nach Realp führte. Die Zeit wollte ich nutzen, um Schlaf nachzuholen und meinen Beinen die nötige Erholung zu geben. Aber das Adrenalin und die Aufregung nach dem Befahren der legendären Tremola liessen mir keine Ruhe.

In Realp angekommen führten wir bei perfektem Wetter und guter Stimmung unseren ersten Crewwechsel durch. Davon kriegte ich jedoch nur wenig mit, weil nun der Furkapass auf dem Programm stand. Ich war froh, dass ich ein paar Wochen zuvor die Strecke abgefahren hatte, denn es ist hilfreich zu wissen, was auf einen zukommt. Von Anfang an habe ich einen guten Rhythmus gefunden und hatte keine Probleme hochzukommen. Alpenpässe zu fahren, ist für mich einfach etwas vom schönsten im Radsport. Bereits nach ein paar Kurven blickte ich hinunter und Gefühle von Dankbarkeit und Freude kamen bei mir auf. Ich versuchte diese positiven Momente zu speichern, denn ich wusste, dass ich mich nicht immer so fühlen werde. Es ist einfach, am helllichten Tag, wenn es gut läuft, glücklich und motiviert zu sein, aber ich wusste genau was mich ein paar Stunden später im Wallis erwartete. Nach einer schnellen Abfahrt von der Furka kamen noch ein paar flache Kilometer, bis ich in Fiesch an meinen Vater übergeben durfte.

Im Voraus habe ich die Zeit bis zur nächsten Etappe bezüglich Essen und Erholungszeit geplant. Denn die zwei Etappen, welche nun folgten, waren für mich entscheidend. Zuerst gemeinsam eine fast flache Etappe von Sion nach Aigle und dann allein über den Col du Pillon nach Gstaad. Diese Etappe bin ich im Kopf mehrmals durchgegangen. Dort rüber und dann ist das Schlimmste geschafft. Leider hatte mein Vater schon von Fiesch nach Sion ohne Unterbrechung mit Gegenwind zu kämpfen und so ging es auch bei unserer gemeinsamen Etappe weiter. Nach ein paar mentalen Tiefs haben wir die Etappe gemeistert. Mein grösstes Problem zu diesem Zeitpunkt war die Müdigkeit. Ich wäre am liebsten auf dem Velo eingeschlafen und überlegte, vor dem Col du Pillon eine Schlafpause einzulegen. Glücklicherweise war die Müdigkeit nach ein paar Energy-Shots verschwunden und nach einer kurzen Pause in Aigle ging es los. Die Nacht war klar und ruhig, zu ruhig für mich. Ehrlich gesagt war es langweilig. Ich blickte auf die Uhr und hoffte, dass ich meine Mutter nicht wecke, wenn ich um elf Uhr nachts anrufe. Auf der Strasse war nicht so viel los. Da die Steigung sehr lange ist, war ich in einem lockeren Tempo unterwegs und dank den Bluetooth-Kopfhörern konnte ich mein Handy hinten im Trikot verstauen und trotzdem telefonieren. Tatsächlich war meine Mutter noch wach. Es waren unterhaltsame 20 Minuten und das Gespräch hat mir auch geholfen nicht müde zu werden. Auf dem Col du Pillon war ich echt glücklich. Das was ich am meisten gefürchtet hatte, war nun vorbei. Nach einer schnellen, aber vor allem kalten Abfahrt war die Etappe geschafft.

Auf der darauffolgenden Strecke von Gstaad nach Bulle hatten wir uns aufgrund einer schlecht signalisierten Umleitung verfahren, was für Aufregung sorgte und uns etwa eine halbe Stunde kostete. Es war ärgerlich, aber dafür hatte ich etwas mehr Erholungszeit. 

Weiter ging es für mich dann von Bulle nach Cheyres. Obwohl ich die Strecke kannte, unterschätzte ich sie. Es war noch nicht hell und ich hatte mit den kleinen, aber zahlreichen Anstiegen zu kämpfen. Als ich dachte, ich hätte bereits die Hälfte geschafft, sagte mir mein Velocomputer, dass ich noch nicht mal einen Drittel hinter mich gebracht habe. Ich versuchte mich abzulenken und mental stark zu bleiben. Ein kleines Déjà-vu hatte ich, als ich einen dringenden WC-Stop einlegen musste. Ich war gerade an einer längeren Steigung in einem Wald. Mein Velo legte ich in die Wiese am Strassenrand. Und dann tauchten sofort die Bilder von vor zwei Jahren in meinem Kopf auf. Damals hatte ich nach etwa 620 Kilometern aufgegeben und es sah exakt so aus wie an diesem Ort. Ich erinnerte mich wie leer, müde, traurig und schwach ich mich gefühlt hatte. Aber jetzt, in diesem Moment ging es mir gut und mir wurde bewusst, dass ich mich in den zwei Jahren sportlich und mental entwickelt habe und dass sich die Trainings- und Ernährungsplanung auszahlen. Ich konzentrierte mich weiterhin auf die positiven Dinge. Nach so vielen Stunden hatte ich keine Magenprobleme, keine grösseren Schmerzen und keine Pannen. Zwischendurch hatte ich Schmerzen in den Beinen, diese wurden jedoch von unseren Physiotherapeuten jeweils sofort nachhaltig behandelt, so dass sie sich jeweils für die nächste Etappe schon fast wieder frisch anfühlten. 

Nach dem Wechsel in Jens ging für mich auf die drittletzte Etappe und bereits die zweitletzte, welche ich alleine fahren durfte. Ab diesem Zeitpunkt kann ich nicht mehr sagen, was mir durch den Kopf ging. Ich weiss einfach, dass ich glücklich war und versucht habe, so schnell wie möglich zu fahren. Während dem Fahren hatte ich keine Schmerzen und die Müdigkeit war kein Thema mehr. Es wäre kitschig, wenn ich beschreiben würde, wie glücklich mich das Radfahren macht. Unsere Betreuer und auch mein Vater waren überrascht, dass ich meistens lächelte und mich für alles bedankte. Ich strahlte einfach das aus, was ich fühlte. Wichtig ist aber zu erwähnen, dass ich nie an meinem Limit gefahren bin, denn dann hätte ich die vielen Kilometer vermutlich nicht durchgehalten. Aber der Fakt, dass sich so viele Menschen in unserem Umfeld Zeit nahmen, nur um uns bei der Verwirklichung unseres Traums zu unterstützen, machte mich einfach immer wieder aufs Neue glücklich. 

Nach der Etappe von Jens nach Langnau war ich sicher, dass wir es ins Ziel schaffen würden und setzte mich zum ersten Mal mit unserer Platzierung auseinander: Ein Team hatte bereits früh aufgegeben und mit einem anderen Team lieferten wir uns ein Kopf an Kopf Rennen. Das war mir nicht entgangen, aber ich wollte mein Rennen fahren und mir keinen Druck machen. Dass mein Vater die Zeiten schon lange im Auge behielt und immer versuchte auf seiner Etappe einen Vorsprung rauszufahren, war mir hingegen nicht bewusst. Als ich in Sempach zu meiner letzten alleinigen Etappe startete, spürte ich die knapp 500 Kilometer in den Beinen nicht wie erwartet. Ich fuhr ein zügiges Tempo und gewann sogar noch etwas Zeit auf die Konkurrenz. In Küssnacht war ich richtig glücklich. Für mich waren es nun nur noch 30 Kilometer bis ins Ziel. Ausser einem Unfall konnte uns eigentlich nichts mehr im Weg stehen. Mein Vater startete zu seiner letzten Etappe und kämpfte sich bis nach Hütten. Ich hatte viel Zeit alles zu realisieren und war sehr aufgeregt und glücklich. Wir waren nicht sicher, wie viel Vorsprung wir auf das Team 207 hatten und ich hatte mich daher darauf vorbereitet, von Hütten nach Zürich noch einmal Gas zu geben. Zuerst sah das aber etwas anders aus. Mein Vater war sehr kaputt und nahm die ersten Minuten locker. Da ich immer noch nicht sicher war, wie gross der Abstand nach hinten war, erklärte ich ihm, dass wir das Tempo jetzt noch ein bisschen anziehen müssten, wenn wir uns den dritten Platz sichern wollten… Das nahm er etwas zu ernst und düste nach unserem Velowechsel in Sihlbrugg richtiggehend ab. In seinem Windschatten konnte ich gerade noch so knapp mithalten und so brachten wir die letzten Kilometer sogar schneller hinter uns als bei unserer Testfahrt eine Woche zuvor. Unser Betreuerteam blieb bis zum Schluss bei uns und sorgte (legal) dafür, dass unser Speed nicht von Rotlichtern unterbrochen wird. Wir überquerten die Ziellinie kurz vor dem Sihlcity und rollten die letzten Meter ins Ziel, wo Freunde und Familie bereit waren uns in Empfang zu nehmen. 

Wir waren überglücklich. In erster Linie darüber, dass wir gesund und glücklich im Sihlcity ankamen. Aber auch, dass wir das Ziel in unter 40 Stunden erreichten und den dritten Platz holten. An die zwei letzten beiden Punkte dachte ich nie bis kurz vor Schluss. Unsere Leistung ist beeindruckend, aber diese Leistung wäre wirklich niemals möglich ohne ein Betreuerteam, wie wir es hatten. Dass alles rund herum funktioniert, bildet die Basis für ein solches Rennen und ich kann ihnen für die Unterstützung gar nicht genug danken. 

Vor zwei Jahren lautete der Titel meines Blogbeitrages «Unfinished business», daher scheint mir «Finished business» für diesen Artikel passend zu sein. Jedoch ist der Titel nicht falsch zu verstehen, denn wir werden nächstes Jahr wieder dabei sein. Welches Format und in welcher Konstellation wird noch entschieden, zuerst erholen wir uns und lassen es uns gut gehen.

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