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Das Ziel von Ärzten und Physiotherapeuten ist, ihre Patienten nach einem operativen Eingriff schnell wieder auf die Beine zu bringen. Je nach Eingriff beginnen die Operierten bereits am Tag nach dem Eingriff gemeinsam mit ihren Physiotherapeuten an ihrer Muskelkraft und Beweglichkeit zu arbeiten.

Das Konzept der Prähabilitation
Was aber, wenn sie schon vor dem Eingriff mit dem Muskeltraining beginnen würden? Wenn Patienten mit einem lädierten Kreuzband bereits vor der Operation ihre Beinmuskeln stärken, solche mit Arthrose trotz der zerstörten Gelenkflächen ihre Beweglichkeit trainieren? Und wenn sogar Menschen mit einer Krebserkrankung ihre Ausdauer trainieren, obwohl der Tumor noch gar nicht entfernt worden ist? Prähabilitation nennt man diesen noch relativ jungen Ansatz, in dem man präventive und rehabilitative Aspekte rund um einen Eingriff kombiniert.

Prähabilitation ist noch wenig verbreitet
Angestossen hat das Thema bei uns eine auf Geriatrie spezialisierte Ärztin und Kundin der Aktiv Physio. Bei uns in der Praxis wird das Konzept nur vereinzelt angewendet – und wenn dann bisher ausschliesslich bei Krebspatienten und in der viszeralen Chirurgie. Die Rückmeldungen, welche wir allerdings von unseren wenigen Patienten erhalten, sind positiv. Bezeichnend für die «relative Unbekanntheit» des Ansatzes ist auch, dass bei der Recherche für diesen Blogbeitrag Google vorschlug, anstelle von «Prähabilitation» doch nach dem Begriff «Rehabilitation» zu suchen.

Muskeln schwinden wie Schnee an der Sonne
Davon ausgehend, dass man pro Tag Bettruhe etwa 1.5% an Muskelkraft einbüsst 1) (die Atemmuskulatur atrophiert noch schneller und ausgeprägter) und dass etwa 83% der Zeit im Spital im Bett verbracht wird 2) wäre es mehr als wünschenswert, dort wo es möglich ist ein präoperatives Training durchzuführen.

Verschärfend: Präoperative Passivität
Häufig ist jedoch gerade das Gegenteil der Fall: Auf das Ereignis oder die Diagnose folgt bei unbegleiteten Patienten oft eine Phase erhöhter Passivität – man «schont sich» («was soll ich jetzt noch trainieren, ich werde ja eh operiert»). Diese Passivität beruht meist auf der Unkenntnis der Tatsache, dass die Fitness ein entscheidender Erfolgsfaktor im Genesungsprozess sein kann. Dazu kommen eventuell Ängste, Unsicherheiten, manchmal gar Depressionen.

Das Konzept: Better in – Better out!  

Auch in der leistungsorientierten Sportmedizin ein Thema
Präoperative Physiotherapie findet zumindest vereinzelt schon in der Sportmedizin statt, zum Bei-spiel im Zentrum für Orthopädie und Sportmedizin in München. Besonders bei Leistungssportlern lässt der Unfallchirurg und Orthopäde Christian Wimmer bereits vor einer Operation die Muskeln trainieren und sorgt dafür, dass die Gelenke beweglich sind, etwa bei Verletzungen im Knie. Im vergangenen Jahr zum Beispiel kam ein Nachwuchsfussballer, 20 Jahre alt, zu ihm in Behandlung, er hatte sich ein Kreuzband und das Außenband im Knie gerissen. «Der junge Mann stand voll im Saft, hatte sich beim Training verletzt und drängte auf eine Operation, um möglichst schnell wieder spielen zu können,» berichtet Wimmer, der den Verein TSV 1860 München samt Nach-wuchs medizinisch betreut.

Stattdessen wartete Wimmer ab, bis das Gelenk abgeschwollen war, um dann mit der Prähabilitation zu beginnen. «Die Sportler sind topfit, verletzen sich und hören plötzlich mit dem Training auf. Da müssen wir vor einer Operation schon verhindern, dass die Muskulatur abbaut», sagt der Mediziner. Sonst können sie nach dem Eingriff ihr altes Fitnessniveau nur schwer wieder erreichen. Das allerdings sei den Sportlern selbst oft nicht leicht zu vermitteln. «Gerade von Leistungssportlern wird erwartet, dass sie sofort operiert und wieder einsatzbereit sind», sagt Wimmer. Vergessen werde, dass es Zeit braucht, das verletzte Gelenk auf den Eingriff vorzubereiten

Was bewirkt die Prähabilitation?
Evidenzbasierte Ergebnisse:

  • Komplikationsrate senken (vor allem Pneumonien & Atelektasen).
  • Selbständigkeit zuhause verbessern (Aktivitäten des täglichen Lebens; gesundheitsbezogene Lebensqualität).
  • Spitalaufenthaltsdauer reduzieren (Aufenthalt auf der Intensivstation und Aufenthalt auf «normaler» Station).
  • Frühzeitige, ungeplante Wiedereintritte vermeiden


Wann hilft präoperative Physiotherapie?

Evidenzbasierte Indikationen für präoperative Physiotherapie:

  • Herzchirurgie:
    o Koronararterien-Bypass-Operationen (Hulzebos EHJ et al. Cochrane Review 2012) 
  • Orthopädische Chirurgie:
    Hüftgelenksprothesen (Valkenet K et al. systematic review in Clin Rehabil 2011
    Knieprothesen (Hoogeboom TJ et al. systematic review in PLoS ONE 2012)
    Wirbelsäulen-Operationen (Lindbäck Y et al. study protocol in BMC Musculoskel Dis 2016) 
  •  Viszerale Chirurgie (innere Organe):
    o Kolorektale Operationen (West MA et al. BJS 2016)
    o Operation eines Bauchaortenaneurysmas (Barakat HM et al. RCT Ann Surg 2016)
    o Resektion der Speiseröhre (Valkenet K et al. study protocol in BioMed Central Trials 2014)
    o Geplante grössere Bauchoperationen (Dronkers JJ et al. Anaesthesia 2013)
    o Abdominale onkologische Chirurgie (Dronkers JJ et al. Clin Rehabil 2010) 
  • Thoraxchirurgie:
    o Lungenkrebs-Operationen (Cavalheri V et al. Cochrane Review 2017)

Zusammenfassung / Take aways

  • Alter ist kein Grund dafür nicht zu trainieren.
  • Vor einer geplanten Operation sollten die Chancen und Risiken eines präoperativen Trainings mit dem Arzt besprochen werden.
  • Versuchen Sie vor einer geplanten Operation nach Rücksprache mit dem Arzt so aktiv wie möglich zu bleiben; dies gilt auch für Hochrisiko-Patienten.

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1) Puthucheary ZA et al. Acute skeletal muscle wasting in critical illness. JAMA 2013;310(15):1591-1600.
2) Brown CJ, Redden DT, Flood KL, Allman RM. The underrecognized epidemic of low mobility dur-ing hospitalization of older adults. J Am Geriatr Soc 2009;57(9):1660-1665.

 

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